Wir haben Lutz gebeten, uns seinen wunderbaren Text für Maximilians Homepage zur Verfügung zu stellen. Er willigte zu unserer großen Freude ein. Hier sein Text.

       Wie ich als Autist meinen Körper erlebe

Sich im Körper  zu fühlen, ist die Basis, um sich als Person gewiss zu sein, man ist da und ist lebendig und klar ist es die Voraussetzung dafür, sich zielgerichtet bewegen zu können und damit auch handeln zu können, so wie man in tiefer Absicht es tun möchte. Ich habe als Autist oft große Probleme mit dem Körpergefühl. Gelegentlich kann es aber auch sein, dass ich ein gutes Körpergefühl habe, ich bin mir dann sicher, ich bin vorhanden und im Bewegen bin ich dann weniger behindert. Es tut richtig gut, körperlich nicht gestoppt zu sein.
Meistens aber habe ich ein sehr schlechtes Körpergefühl, das heißt, ich spüre meinen Körper so schlecht, dass ich die Hände nicht fühle, auch die Beine nicht, noch meinen Rumpf oder meinen Kopf. Die Hoffnung verliert man, sich bewegen zu können und sich als Mensch zu fühlen. In diesem Zustand hat mich früher als Kind dann auch große Angst überwältigt und furchtbar ist dann das Leben. Wenn sich dann Autisten, suchend nach ihrem Körpergefühl, schlagen oder beißen oder grausam sich verletzen, kann das von diesem katastrophalen Leiden kommen.  So schlimm habe ich es nicht erfahren müssen, aber ich denke an diese Tragödien.

Was konnte mir helfen?

Unglaublich gut und wichtig war für mich immer der sehr tragende Kontakt zum Anderen. Wert, müsste sagen,Glück für mich, bedeutete die intensive Zuwendung oder Liebe, die mich stärkte und durch die  ich mich als Person erleben konnte. Mit Menschen, die mich sehr beachteten, ging es mir auch besser.
Ich war mir dadurch sicher, dass ich in meinem Körper bin, also ich bin da im Leben, ich existiere – auch wenn ich den Körper nicht sicher spüren kann.

Um ein besseres Körperfühlen zu bekommen gibt es natürlich vielerlei Hilfen und viel haben wir ausprobiert, manches hat mir genützt, manches auch nicht. Jeder Autist wird seine eigenen Erfahrungen machen, was ihm besonders gut hilft.
Alles was am Körper direkt gemacht wird, wie starkes Drücken der Hände oder Massieren des Körpers oder Bürsten oder Beleben der Fußsohlen mit Holzrollen ist wirksam und hilfreich. Wenn mir unterwegs das Körpergefühl fast abhanden kommt, vielleicht auch mal, wenn mir zu schriller Lärm zu schaffen macht oder zu viel Lichtergefunkel die Augen reizt, hilft mir schon ein Händedrücken oder an der Schulterberühren, damit  ich den Körper wieder fühlen kann. Die Hände in heißes Wasser zu legen, belebt ungemein, wie natürlich für den ganzen Körper heißes Duschen oder Baden gut tut. Mit den Händen zu arbeiten, gibt auch gutes Fühlen: wenn ich zum Beispiel die harten Quitten mit dem scharfen Messer schneide, fühle ich wunderbar die Hände. Jede körperliche Arbeit gibt mir gutes Körpergefühl. Zum Beispiel trage ich gern die schweren Taschen, Körbe oder Koffer und nehme damit den Anderen viel Mühe ab. Meine Mutter ist darüber immer sehr froh und dankt mir und ich befreie mich von dem Gefühl, richtig losgelöst zu sein von meinem Körper.  So haben wir eine gute, eine richtig gute Zusammenarbeit.
Lange Zeit war ich regelmäßig im Sportstudio und habe mit dem Spüren des Körpers beim Üben an den Geräten gute Erfahrungen gemacht. Heute ist für mich das Beste, draußen in der Natur zu gehen. Bald, nach kurzer Zeit, spüre ich dann den ganzen Körper und durch die Bewegung, die ja immer hilft, komme ich in den Zustand, mich sehr gut zu spüren und das ist jedes Mal einfach herrlich. Jeden Tag kann ich draußen gehen, mindestens nach einer halben Stunde bin ich wieder der Glückliche, meistens gehen wir viel länger. Hätte ich keine Gelegenheit für dieses regelmäßige stramme Gehen, wäre ich weniger gestärkt, ein sehr lebendiges Körperfühlen zu haben.

Bin ich in einer Situation, in der ich wieder einmal den Körper fast nicht oder gar nicht spüren kann und ich kann keine Hilfe bekommen, dann kann ich meinen Mut durch meine Gedanken finden. Zum Beispiel nachts, ich wache vielleicht auf und unfühlbar, wie verschwunden oder wie schon gestorben ist mein Körper. Als Kind überfiel mich dann große Angst, der Tod hätte mich schon überwältigt. Ich kann mir vorstellen, das geht vielen Autisten so und könnte die Ursache sein  für das Schreien der Kleinen oder für Unruhe oder  Aggressionen.
In den Gesprächen mit meiner Mutter habe ich erfassen können, mit meinen Gedanken kann ich mir helfen. Ich bin ja frei in meinen Gedanken und kann mich aus meiner autistisch gefangenen Sitiation herausdenken. Ich kann mir sagen, ich kenne das Verlieren des Körperfühlens schon, aber ich weiß, ich werde meinen Körper wieder spüren, ich bin noch nicht tot.  Hell kommt der Morgen wieder und ich weiß, mit den mir vertrauten Menschen kann ich wieder zusammen sein. Tief dieses sichere Vertrauen habend, kann ich die Situation gräulicher, todähnlicher Verlorenheit wirklich sicher ohne Ängste überstehen. Das war für mich eine elementar wertvoll erlebte Überwindung der Seelennot, sich absolut körperlos erfahren zu müssen. Offen will ich darüber reden, weil ich das auch den Autisten wünsche, die unter den Erfahrungen eines nicht vorhandenen Körpers noch so schrecklich leiden müssen.

Grausam ist in der autistischen Situation, den Körper nicht zu fühlen, das ist noch schlimmer als  mit dem Sehen oder Hören so harte Probleme zu haben. Mut finden kann man aber mit den erleichternden Hilfen, die ich beschrieben habe. Andere machen vielleicht noch andere Erfahrungen, mir ging es sehr viel besser mit den Hilfen, die ich hatte. Heute ist es für mich nicht mehr so grausam, mit dem Körpergefühl Probleme zu haben, ich kann damit leben und vor allem, ich kann  gelassen bleiben - ich bin darüber froh und auch ein bisschen stolz.

Lutz Bayer